Aktuelles um das Thema Folate
Im Rahmen des Symposiums «Folates in Health and Disease», das am 26. September 2022 am Universitätsspital Zürich (USZ) stattfand, diskutierten namhafte Expert*innen verschiedene aktuelle Forschungsergebnisse rund um das Thema «Folate». Dabei zeigte sich, dass einige etablierte Lehrmeinungen revidiert werden sollten.
Transport von Folaten und Bedeutung von Autoantikörpern
Für die Aufnahme von Folaten, z. B. in die Leberzellen, aber auch für die Rückresorption in den Nierentubuli und insbesondere für den Transport gegen den Konzentrations-Gradienten ins Gehirn, sind verschiedene Rezeptoren und aktive Folat-Transporter notwendig, wie der auf diesem Gebiet führende Forscher PD Dr. Michele Visentin vom Institut für klinische Pharmakologie und Toxikologie am USZ erklärte. Dabei ist zu beachten, dass es mehrere Formen von Folaten gibt, die wegen Polymorphismen der beteiligten Enzyme auch individuell unterschiedlich verstoffwechselt werden. Der Transport von Folaten, insbesondere in das Gehirn, kann durch Autoantikörper gegen Folatrezeptoren («Folat-Rezeptor-Autoantibodies », FRAAs) gestört sein. Daher baute Dr. Michele Visentin − mit Unterstützung des Baylor College in Houston – als erster in Europa eine Methode zur Quantifizierung von FRAAs auf. Denn es ist von grosser klinischer Bedeutung, die Konzentration der Autoantikörper zu bestimmen, da diese dazu führen können, dass trotz eines normalen Serumspiegels ein Folat-Mangel im Gehirn auftritt. So zeigte Prof. Robert Cabrera vom Baylor College in Houston, der Pionier der FRAA-Forschung, dass 70 % der autistischen Kinder aufgrund von FRAAs unter einem Folat-Mangel im Gehirn leiden, obwohl sie normale Serumwerte aufweisen.1
Folat-Mangel und Spina Bifida
Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit in den letzten 30 Jahren konnte Prof. Richard H. Finnell vom Baylor College in Houston unter anderem zeigen, dass sich das Neuralrohr nur dann zwischen dem 20. bis 28. Tag der Embryonalentwicklung schliesst, wenn Folate an dieser Stelle genügend angereichert werden. Dabei kann trotz Supplementation mit synthetischen Folaten vor und während der Schwangerschaft eine Spina bifida nicht immer verhindert werden. Eine Hauptursache hierfür sind die bereits erwähnten FRAAs.
Unter- bzw. Überversorgung mit Folaten kann zu Problemen führen
Eine neue Studie, die Martin Ulmann, CEO der Firma Aprofol, im Rahmen der Veranstaltung vorstellte, zeigt, dass in der Schweiz rund 20 % der Frauen im gebärfähigen Alter unter einem Folat-Mangel in den Erythrozyten < 340 nmol/L leiden und über 90 % Folatkonzentrationen von < 906 nmol/L aufweisen, die gemäss WHO Zeichen eines erhöhten Risikos für Neuralrohrdefekte sind.2 Die meisten Nahrungsergänzungsmittel enthalten jedoch Folsäure, eine synthetische, inaktive Form der Folate, von der mehr als 1 mg pro Tag sogar schädlich sein kann, wie sich zunehmend herausstellt. Deswegen erlangen natürliche Formen von Folat wie L-Methylfolat oder Levoleucovorin immer mehr an Bedeutung. Denn damit besteht nicht nur eine grössere Unabhängigkeit von Polymorphismen, sondern es können auch Plasma-Konzentrationen erreicht werden, bei denen Folate über alternative, von FRAAs nicht betroffene Rezeptoren ins Gehirn gelangen.1 Für Leucovorin bzw. Levoleucovorin (Folinsäure/Levofolinsäure) wurde in klinischen Studien bereits gezeigt, dass sie das Kommunikationsverhalten von autistischen Kindern verbesern. 1 Dieser Therapie-Erfolg war abhängig vom FRAA-Wert. 1 Im Moment laufen in den USA drei öffentlich gesponserte klinische Studien mit einer in der Schweiz entwickelten Formulierung eines naturidentischen Folats. 1,3-5
Folate unterscheiden sich auch biologisch voneinander
Bei den verschiedenen Folaten gibt es nicht nur chemische, sondern auch biologisch wichtige Unterschiede, wie Gerd Wiesler von der Firma Aprofol während des Symposiums aufzeigte. Dabei formulierte er folgende Take-Home-Message für klinische Ärzte: «Bioaktive, naturidentische Formen von Folaten sind für manche Patient*innen nicht nur nützlicher, sondern auch ungefährlicher, weil sie in unserem Körper leicht verstoffwechselt werden können.» Die Entwicklung von guten Nahrungsergänzungsmitteln und Medikamenten setzt jedoch ein grosses Know-how voraus, da die entsprechenden chemischen Formeln oft komplex sind.
Von der Theorie zur Praxis
In einer Fallstudie stellte Prof. Robert Steinfeld (USZ) eine Familie mit drei Kindern vor, die alle einen Gendefekt des Folat-Rezeptors aufwiesen. Während beim ältesten Kind der Defekt erst nach dem Auftreten des klinischen Bildes gefunden wurde, konnte die Diagnose beim zweiten Kind bereits im Alter von drei Jahren und beim dritten Kind schon direkt nach der Geburt gestellt werden. Dementsprechend wurden die jeweiligen Therapien mit hoch dosiertem Leucovorin zu unterschiedlichen Zeitpunkten begonnen mit der Folge, dass das älteste Kind heute schwer, das zweite mittelschwer und das dritte gar nicht behindert ist. Die Forschung von Prof. Steinfeld zeigt ganz klar, dass ein Mangel an Folat im Gehirn zu irreversiblen Schäden führt, die jedoch bei frühzeitiger, korrekt durchgeführter Therapie vermeidbar sind.
Auch das Auge benötigt Folate
Bei verschiedenen Erkrankungen ist der retinale Venendruck erhöht. Damit sinkt der Perfusionsdruck ab und der transmurale Druck in den Kapillaren kann auf Werte ansteigen, welche die Netzhaut schädigen können, wie Prof. Josef Flammer von der Universität Basel während der Veranstaltung erklärte.6 Umso erfreulicher sind die Ergebnisse von Dr. Thibaut Devogelaere aus Oudenburg in Belgien.7 Er zeigte, dass bei Glaukom-Patient*innen der retinale Venendruck mit einer optimalen Folat-Formulierung (Calcium-L-Methylfolat) signifikant gesenkt werden kann.
1 Rossignol DA, Frye RE. Cerebral Folate Deficiency, Folate Receptor Alpha Autoantibodies and Leucovorin (Folinic Acid) Treatment in Autism Spectrum Disorders: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Pers Med. Nov 2021;11(11)doi:10.3390/jpm11111141
2 Herter-Aeberli I, Wehrli N, Barlocher K, Andersson M, Sych J. Inadequate Status and Low Awareness of Folate in Switzerland-A Call to Strengthen Public Health Measures to Ensure Sufficient Intakes. Nutrients. Dec 2020;12(12) doi:10.3390/nu12123729
3 Treatment of Social and Language Deficits With Leucovorin for Young Children With Autism. [Letzter Zugriff im Oktober 2022] Verfügbar unter: https://clinicaltrials.gov
4 Leucovorin for the Treatment of Language Impairment in Children With Autism Spectrum Disorder. [Letzter Zugriff im Oktober 2022] Verfügbar unter: https://clinicaltrials
5 Early Treatment of Language Impairment in Young Children With Autism Spectrum Disorder With Leucovorin Calcium. [Letzter Zugriff im Oktober 2022] Verfügbar unter: https://clinicaltrials.gov
6 Flammer J. Measuring and Treating Retinal Venous Pressure: Efforts and Benefits. hb TIMES Schw Aerztej. Dec 2021;3(3):60-62. doi:10.36000/hbT.2021.03.002
7 Devogelaere T, Schötzau A. The Effects of Vitamin Supplementation Containing L-Methylfolate (Ocufolin® forte) on Retinal Venous Pressure and Homocysteine Plasma Levels in Patients with Glaucoma. hb TIMES Schw Aerztej. Dec 2021;3(3):54-59. doi:10.36000/hbT.2021.03.001
Download Artikel "Folates in Health and Disease" Healthbook Times November 2022
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